Lokallust Haltern am See - page 33

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Phillumenist
Das Zündwarenmonopol
Ende der zwanziger Jahre waren viele Staatskassen leer, und die
Weltwirtscha skrise verschär e die Lage. Der schwedische Ge-
schä smann Ivar Kreuger bot finanzschwachen Regierungen zu
günstigen Bedingungen Kredite an – unter der Bedingung, dass sie
ihm für ihr Land ein Monopol auf den Verkauf seiner Streichhölzer
garantieren; zahlreiche deutsche Fabriken hatte er zuvor in seinen
Besitz gebracht. Kreuger vermittelte Deutschland 125 Millionen
Golddollar (damals etwa 500 Millionen Reichsmark), verzinst mit
sechs Prozent, für eine Vertragslaufzeit von 53 Jahren. Im Gegen-
zug wurde ein Importverbot für Zündwaren festgesetzt. 1930
beschloss der Reichstag das Zündwarenmonopolgesetz. Danach
dur en landesweit nur mehr Streichholzschachteln der Deutschen
Zündwaren-Monopolgesellscha in den Handel kommen, an deren
Gewinnen Kreugers Unternemen beteiligt ist. Die Reichsanleihe
wurde komplett zurückgezahlt, das Zündwarenmonopol lief am
15. Januar 1983 aus. Daraufhin fielen die Preise um ein Drittel.
Schachteln bald über. Eine ganze
Weile glaubte der Halterner, mit
seiner Leidenschaft allein zu sein.
Das erste Tauschtreffen in Mün-
chen belehrte ihn eines Besseren.
„Dann ging die Geschichte erst
richtig los.“ Mit vielen Etiketten,
Katalogen und Tipps wohlwollen-
der Sammler-Kollegen im Gepäck
kehrte er heim. Hüwener schloss
sich 1978 der Phillumenistischen
Gesellschaft Deutschlands an,
die er später 15 Jahre lang als 1.
oder 2. Vorsitzender leitete. Das
ist schon eine Weile her: „Irgend-
wann reicht es.“ Heute begnügt er
sich mit der Ehrenmitgliedschaft.
Für
die
Phillumenisten,
die
„Freunde des Lichts“, endete
1983 eine Tradition, die 53 Jahre
lang ihrem Hobby einen verlässli-
chen Rahmen gegeben hatte. Das
Zündwarenmonopol lief ab, und
Hüwener hörte auf zu sammeln.
„Das hat keinen Spaß mehr ge-
macht. Der Markt wurde zu groß
und unübersichtlich.“ Die traditio-
nelle Schachtel hatte ausgedient,
Fabrikanten im Ausland fertigen
andere Formate an. Seitdem be-
schränkt sich Hüwener darauf,
seine Sammlung durch seltene
Stücke zu ergänzen. Dann zieht er
sich an langen Winterabenden in
sein Arbeitszimmer zurück, wo die
Schachteln Geschichte erzählen,
und sucht im Internet nach weite-
ren Informationen. „Das ist total
entspannend, wenn ich hier sitzen
und die Etiketten sortieren kann.“
Text: M-L Schmand
Fotos: Jürgen Rustemeyer
Streichhölzer sind nicht immer nur in Schachteln verpackt.
Streichholzschachteln aus längst vergangenen Jahren.
vieles und auch viel Seltenes zu
bieten. Hüwener hat sich spezi-
alisiert auf die Herkunftsländer
Deutschland und die Benelux-
Staaten, thematisch interessie-
ren ihn vor allem Motive aus den
Bereichen Sport, Gesundheit,
Unfallschutz und Hygiene. Wenn
der 55-jährige in seinen Ordnern
blättert, dann fördert er Erstaun-
liches, Amüsantes und Kuriositä-
ten zutage. In Erinnerung an seine
erste berufliche Ausbildung hat
er Schachteln gesammelt, die als
Werbeträger für den Friseurberuf
gedacht waren. Der damals abge-
druckte freche Spruch „Nicht die
Länge ist entscheidend, sondern
die Technik“ - riefe heute einen
Sturm der Entrüstung hervor.
Einfallsreichtum bewies auch die
Friseurinnung Hannover, die auf-
munternde Appelle wie „Nicht ver-
stecken - fragen sie ihren Friseur“
mit der Zeichnung eines Frauen-
kopfes unterlegte, der in einem
Hut halb verschwunden war. Die
Auftraggeber waren nicht immer
zu Scherzen aufgelegt. Während
des Zweiten Weltkriegs warnte der
Aufdruck eines drohenden grauen
Schattens auf der Schachtel vor
Spionage, begleitet von der Mah-
nung: „Jedes unbedachte Wort
nutzt dem Feind. Schweig!“ Aus
dem Erzgebirge, wo Fingerfertig-
keit und Handwerkskunst zu Hau-
se sind, stammen die Seiffener
Miniaturen: Wer die Schachtel öff-
net, blickt in eine geschnitzte Pup-
penstube - die Erschaffer haben
in dem Rechteck aus Pappe das
Sprechzimmer einer Arztpraxis
mitsamt zwei cm großer Medizi-
ner-Figur untergebracht, die mit
dem Stethoskop einen jungen
Patienten abhört. „Das ist Hand-
arbeit, keine Massenproduktion“,
versichert Ulrich Hüwener. Die
räumliche Enge haben wohl auch
die Erfinder einer Packung „Ori-
ginal Neudorfer Räucherkerzen“
als Herausforderung begriffen:
In der Streichholzschachtel sind
Räucherkegel, Zündhölzer und
ein Mini- Blechtablett verstaut.
Das sind putzige Spielereien, aber
eigentlich geht es Hüwener nicht
um den Inhalt, sondern um den
Aufkleber. Wenn ein Etikett zu
Sammler-Ehren kommt, wird es
behutsam von der Schachtel ge-
löst, geglättet, eingeordnet - und
immer wieder betrachtet.
In jungen Jahren sammelte der
Halterner, was ihm unter die Fin-
ger kam. Später hat er gelernt,
dass wahlloses Sammeln zu nichts
führt, und nur Beschränkung und
gezielter Aufbau zu attraktiven
Kollektionen führt. Von seiner ers-
ten Schachtel wird er sich wohl nie
trennen: Hüwener war 15 Jahre
alt und sehr verliebt, die rote Plas-
tikschachtel mit dem Schriftzug
„Rettet die Zärtlichkeit“ traf exakt
seine Stimmungslage. Während
der Ausbildung betrieb er sein
Hobby „so nebenbei“, dennoch
quoll die erste Kiste für die alten
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