Lokallust Dorsten - page 10

Am Kirchturm von St. Agatha
hängt seit einigen Jahren ein
riesiges Kunstwerk. Auf zehn
mal vier Metern Leinwand sieht
man eine Pyramide aus Kin-
dern, außerdem Gebäude, Per-
sonen und Symbole aus Her-
vest-Dorsten.
Gemalt wurde das Bild vor
elf Jahren in der Lohnhalle von
Fürst Leopold. Dort gab es ge-
nügend Platz für die monströse
Leinwand und für 18 Kinder, die
sich unter Anleitung der Künst-
lerin Gisela Paul austoben
konnten.
Sie alle malten sich selbst.
Von Kopf bis Fuß, in Original-
größe, als menschliche Pyra-
mide. Über ihnen collagiert die
Wahrzeichen des Dorstener
Bergbaus. Nachdem das Bild
2007 dazu verwendet wurde,
Baugerüste auf dem Zechen-
gelände zu verschönern und zu
verhüllen, ziert es nun schon
seit längerer Zeit die Front der
Agatha-Kirche.
Seit jeher ist es Wind und
Wetter ausgesetzt. Die elf Jah-
re sieht man dem Bild mittler-
weile ziemlich an. Die einstige
Farbenpracht kann man nur
noch erahnen, die Körper und
Gesichter der Kinder sind mehr
als in Echtzeit gealtert.
Ich kann das ein bisschen
beurteilen, denn ich bin eines
dieser Kinder (gewesen). Es
war eine tolle Zeit, die wir da
auf dem Boden der Lohnhalle
verbracht haben. Alle im abso-
luten Mal-Wahn, sehr leiden-
schaftlich, immer wieder neu
angesteckt von Gisela Pauls Be-
geisterung. Unter ihrer künstle-
rischen Leitung krabbelten wir
auf der vierzig Quadratmeter
großen Leinwand herum und
füllten sie innerhalb weniger
Tage mit Leben.
Und dieses Leben bleicht
jetzt immer weiter aus. Auf der
einen Seite finde ich es natür-
lich sehr schön, dass das Bild
immer noch hängt, auf der an-
deren Seite ist es schade, dass
es dem Wetter so sehr ausge-
setzt ist.
Wenn ich an die gemeinsame
Zeit zurückdenke, kann ich mir
aber gut vorstellen, dass die
Kinder von damals auch heu-
te wieder große Lust hätten,
das Bild zu restaurieren. Oder
gleich ein neues Bild zu malen:
„Vierzig Quadratmeter – elf
Jahre später“
Fritz Schaefer (Jahrgang 1997)
ist leidenschaftlicher Beo-
bachter und Belauscher. Der
gebürtige Dorstener teilt sei-
ne Gedanken und Erlebnisse
monatlich in der Lokallust
mit. Lustig, charmant und be-
stimmt auch kritisch. Neben
seinen Hörspiel- und Filmpro-
jekten arbeitet er für verschie-
dene Verlagshäuser und Rund-
funkanstalten. Die Universität
Witten/Herdecke machte ihn
2015 zum „Pfad.finder“-Sti-
pendiaten. Seit 2016 ist er Mit-
glied der Grimme-Preis-Jury.
Die Fritz-Kolumne ist zu-
sätzlich immer online hörbar
– als Pommes-Soko-Erfinder
und
Ex-Mike-Litt-Praktikant
hat der Autor ein Faible für das
gesprochene Wort. QR-Code
scannen oder unter lokal-
lust.de anhören. Leserpost:
Vierzig Quadratmeter Kunst
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Mit einigen der Beteiligten habe
ich nach wie vor Kontakt. Ich
wäre bereit, alle wieder zusam-
menzutrommeln. Auf unsere
Meisterin von damals müssten
wir aber leider verzichten. Gi-
sela Paul, die weit über Dorsten
hinaus für viele herausragende
Kunstprojekte
bekannt
ist,
starb 2014 im Alter von 73 Jah-
ren.
Und wenn es nichts wird mit
einer Restauration oder einer
Neuauflage, dann bin ich doch
beruhigt, dass Sie, liebe Lese-
rin, lieber Leser, das Bild an der
Agatha-Kirche nun mit neuen
und interessierten Augen se-
hen. Vielleicht entdecken Sie
dabei ja auch den kleinen Fritz.
Frohes Suchen!
Foto: Christian Sklenak
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