Lokallust Haltern am See - page 2

Nach dem Absturz des Airbus 320 in Frankreich
möchte die Stadt in Ruhe trauern. Haltern ist
leise in diesen Wochen. An vielen Orten wird
der Opfer gedacht. In den Kirchengemeinden
sind die Türen zu den Gotteshäusern geöff-
net. Viele gehen in die Kirche St. Sixtus, zün-
den eine Kerze an, tragen sich in ein Kondo-
lenzbuch ein, sprechen manchmal ein stilles
Gebet. Täglich gibt es neue Einträge in das
Online-Kondolenzbuch der Stadt. Über 10 000
Menschen haben bislang ihr Mitgefühl in Wor-
te gefasst. Die Aula des Schulzentrums ist ein
Trauerort mit Blumen, Bildern und Botschaf-
ten geworden. Vor dem Eingangsbereich des
Gymnasiums wächst das Meer aus Kerzen und
Blumen. Täglich pilgern Menschen dorthin, et-
liche kommen von auswärts.
Jeder kennt eine Familie, die den Tod eines
Kindes betrauert. „Seid Ihr betroffen?“, diese
Frage ist immer wieder zu hören, bei denen,
die man in der Kirche, beim Einkaufen, in der
Fußgängerzone trifft. „Die Stadt rückt zusam-
men“, findet eine Frau. Zum ersten Mal, seit
sie in Haltern wohne, sei sie von fremden Men-
schen einfach angesprochen worden.
Die Facebook-Seite „We love Haltern“ verzeich-
net eine Welle der Anteilnahme für die Opfer.
Haltern-Fahnen sind auf Halbmast. In den
Schaufenstern hängen Beileidsbekundungen.
In der Joseph-Hennewig-Hauptschule hatten
Schüler ein Plakat an den Eingang gehängt:
„Wenig ist es, das wir sagen und tun können.
Doch in Gedanken sind wir euch nahe.“ Da-
neben eine Kerze und ein Kreuz aus Pappe.
„Normaler“ Unterricht sei nicht möglich, so
Schulleiterin Dagmar Perret. Auch Schüler der
Hauptschule haben Geschwister, Angehörige
verloren.
Die Stadt musste mit dem Medienaufgebot,
dass alles bisher Dagewesene sprengt, umge-
hen. Es zeigt: Der Grat zwischen Anteilnahme
und Sensationshunger ist schmal. Vor dem
Schulzentrum reihte sich Übertragungswa-
gen an Übertragungswagen aus Deutschland,
Italien, Frankreich, Belgien, Großbritannien,
Niederlande. Als der Kopilot des Airbus in den
Nachrichtenfokus rückt, zieht der Medientross
nach Montabaur weiter.
„Haltern ist sicher nicht gelähmt. Aber das Ge-
schehene ist irgendwie in fast jedem Gespräch
präsent“, sagt ein Ladeninhaber. Er ringt um
die richtigen Worte, um die Gemütslage in sei-
ner Heimatstadt akkurat zu beschreiben. Eine
„gewisse Art von Melancholie“ könne er bei
den Leuten immer noch erkennen, sagt er Tage
nach demUnglück.
Die Stadt probt derweil kleine Schritte in eine
Normalität, die es nicht mehr gibt. Geplante
Veranstaltungen sind in den nächsten Tagen
abgesetzt. Am 25. April soll die „White Night“
stattfinden. Mitte Juni auch das Schützenfest
der Schützengilde. Aber wie unsicher sich die
Stadt in ihremBemühen umAlltag ist, zeigt der
abgeblasene Vorverkauf, der auf die Woche
nach Ostern auf einen Werktag verlegt wor-
den ist. Normaler Alltag ist das nicht. Doch wie
kann der nach so einem Unglück überhaupt
aussehen? Wie soll eine Schule verkraften,
dass 16 Jugendliche und zwei Lehrerinnen
plötzlich nicht mehr da sind? (ist)
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HALTERN
AM SEE
TRAUERT
Einen Tag nach dem Unglück steht vor
dem Schulzentrum Übertragungswagen
an Übertragungswagen.
Bürger stellen brennende Kerzen vor den Eingang des Joseph-König-Gymnasiums im Gedenken an die Opfer.
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