Lokallust Dorsten - page 9

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Damals in Dorsten
Fragte man noch vor ein paar
Jahren in Hervest nach dem
Namen des heutigen Glück-auf-
Platzes, bekam man meistens mit
einem Achselzucken den „Emil
von Schevenplatz“ oder einfach
„Schevenplatz“ genannt. Gerade
die Älteren konnten sich noch gut
daran erinnern: Wer hier abends
hinging, trat mit einiger Wahr-
scheinlichkeit durch die schwere
Eingangstür des „Westfalen Ho-
fes“, und über der Kneipenpforte
prangte einige Jahre der Name
des Besitzers: Emil von Scheven.
Nur zwei Häuser weiter kaufte
man sein Brot in der Bäckerei,
über dessen Tür der gleiche Name
prangte, und so mancher Verein
wurde vor und nach dem Krieg im
„Scheven“ aus der Taufe gehoben.
Kurz gesagt, Emil von Scheven
war zu Lebzeiten eine wichtige
Persönlichkeit in Hervest. Ironi-
scherweise erlebte er nicht mehr,
wie ein Platz nach ihm benannt
wurde, und das direkt vor seiner
Haustür.
Denn als Emil von Scheven noch
ein lebendiger Wirt war, hieß der
Platz vor der Tür Ebertplatz. Und
es ist ziemlich wahrscheinlich,
dass dieser Name dem Gastwirt
so gar nicht passte, denn so sehr
wie Friedrich Ebert als Weimarer
Präsident und SPD-Mitglied De-
mokrat war, so sehr war Emil von
Scheven ein eingefleischter Nazi.
Man kann sich gut vorstellen, wel-
che Hetztiraden dem Hervester
mit dem scheinbar adligen Namen
beim Bier mit seinen Parteifreun-
den in den unruhigen 20er und
erst recht zu Beginn der 30er Jah-
re über die Lippen kamen. Hass
auf Juden, Demokraten, Kommu-
nisten, und vor allem auf die Wei-
marer Regierung einte die Herves-
ter NS-Parteigänger, von denen
etliche am liebsten im braunen
Zwirn
der
SA-Schlägertrupps
durch die Straßen paradierten.
Am 30. Januar 1933 fühlten sich
die Nazis auch in Hervest wie
die Herren der Welt: Ihr Idol, ihr
Führer Adolf Hitler war als neu-
er Reichskanzler gewählt wor-
den. Und zögerlich war das neue
Regime schon gar nicht: Sofort
wurde das alte demokratische
System beseitigt, der Reichstag
aufgelöst. Politische Gegner wur-
den eingeschüchtert, verhaftet
oder ermordet. Die Wahlen am
5. März sind nur noch eine Farce:
Längst stand die neue Diktatur
auf festen Füßen, mit denen sie
alle zertreten wollte, die gegen
sie waren. Es dauerte keinen Mo-
nat, da öffnete das erste KZ seine
Pforten.
Auch in Hervest wollten sich die
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Heute ist der Glück-Auf-Platz ein geschäftiger Knoten-
punkt in Hervest: Der Kreisverkehr an der Kreuzung von
Harsewinkel und Glück-Auf-Straße sieht am Tag viele
Fußgänger, Radler und Autofahrer vorbeiziehen. Kein
Wunder, liegen hier doch Discounter, Apotheke und
Gastronomie in Steinwurfweite. Das wohl markanteste
Gebäude am Platz beinhaltet heute das Stadtteilbüro und
ist vielen Feierwütigen noch als „Haifischbar“ in guter
Erinnerung. Einst prangte über der Eingangstür aber ein
Name, mit dem man den Platz mit gutem Grund nicht
mehr in Verbindung bringen will: Emil von Scheven.
Glück Auf
statt Hass
„aufrechten Deutschen“ nicht
lange bitten lassen: In glühen-
dem Freudenwahn wurden in
Hervest die roten Flaggen mit
dem schwarzen Unheilssymbol
gehisst, und die Straßen beka-
men neue Namen. Der Harse-
winkel wurde zur „Straße der
SA“, der Brunnenplatz heißt nun
„Adolf-Hitler-Platz“, und die alte
Kaiserstraße quer durch Hervest
(genau, die Glück-Auf-Straße)
benannte man einfach nach ei-
nem noch lebenden und entspre-
chend eitlen SA-Führer aus dem
Stadtteil. Auch das Schild vom
Ebertplatz wurde weggerissen,
und schon hatte Emil von Sche-
ven den frisch getauften Düster-
bergplatz vor der Haustür.
Dabei wäre es wohl geblieben,
hätte sich der Wirt nicht zum
Geburtstag seines Idols Adolf
Hitler am 20. April 1933 nicht im
Vollrausch auf die Motorhaube
eines Lieferwagens gesetzt, der
von nicht weniger angetrun-
kenen
Parteigenossen
durch
Dorsten gesteuert wurde. Der
Wagen machte eine Kurve, und
von Scheven einen ungewollten
– und sehr tödlichen – Abgang.
Nicht weniger als 4000 Menschen
kamen einige Tage später zur
Beerdigung des Nazi-Wirtes, da-
runter SA- und NSDAP-Größen,
Kriegervereine und SS. Auf dem
Sarg lag die Hakenkreuzfahne,
und Emil von Schevens Geist soll-
te den Hervestern noch erhalten
bleiben: Ab sofort, so befahl die
NSDAP-Stadtverwaltung,
sollte
die Kreuzung vor dem Wirtshaus
Emil-von-Schevenplatz heißen.
12 Jahre später lag Dorsten dank
Emils Idol in Trümmern. Zwar
wurden die von den Nazis auf-
gestellten Straßenschilder ent-
fernt, aber im Volksmund sprach
man immer noch vom „Scheven-
platz“ – auch mangels eines neu-
en Namens. Erst 1985 war damit
Schluss: Ganz offiziell hob man
den „Glück-Auf-Platz“ aus der
Taufe. Ein guter Wunsch ist ein-
fach ein besserer Namenspatron
als der Anhänger einer hasserfüll-
ten Ideologie.
Foto: privat
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