Lokallust Dorsten - page 6

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Furor Normannicus
schem Vorbild gefertigt und ist in etwa das, was ein
einfacher Mann im 12. Jahrhundert getragen hat“,
erklärt Sven. Das unempfindliche Outfit aus Wol-
le und Leinen ist genau für solch einen Alltag
gebaut und kann auch etwas Ruß vom
Feuer vertragen. Es ist diese historische
Genauigkeit, die Sven reizt: „Wir machen
hier nicht einfach nur eine Art Kostüm-
fest, sondern rekonstruieren unsere
Ausrüstung schon nach den echten
Vorlagen aus der Zeit. Sonst lernt
man ja nichts dazu, und die Besucher
auch nicht.“
Diese Zielsetzung öffne-
te den Wulfenern in ihrer
Vereinsgeschichte schon
manche Burg- oder Mu-
seumstür: Nicht nur in
Deutschland, sondern
auch in Frankreich,
Dänemark, den Nie-
derlanden oder der
Schweiz sind Fu-
ror Normannicus
schon tätig ge-
wesen. „Wir sind schon ganz
schön rumgekommen“, freut
sich Sven, „und jetzt sind wir
hier.“ Hier, das ist an diesem
Wochenende die Lütjenburg
an der Ostsee. Eine komplett
rekonstruierte Burganlage mit
einem Holzturm, verschiedenen
Wirtschafts- und Wohngebäuden,
Ställen und Werkstätten. Mehr als
eine perfekte Kulisse – für die
Freizeithistoriker ein idealer
Platz für Experimente und Tätigkeiten.
Und die sind breit gefächert: Im ritterlichen Wohn-
haus werden mittelalterliche Brettspiele auspro-
biert, im Gesindehaus kocht das Essen über dem
Feuer, vor dem Burgturm klirren Schwerter bei
Fechtübungen, und im Vorhof dampft ein Färber-
kessel mit Kräutern, die dem Wollstoff Farbe verlei-
hen, aus dem später die Kleidung genäht wird. Den
ganzen Tag über steht die Anlage für Besucher offen,
die den Gästen aus dem fernen Dorsten bei ihren Ar-
beiten über die Schulter schauen und sie mit Fragen
löchern können. „Heute hat mich ein Besucher ge-
fragt, wie das mittelalterliche Brett-
spiel im Ritterhaus funktioniert – da
habe ich einfach mal zwei Runden
mit ihm gespielt“, lacht Sven. Durch
Ausprobieren lernt man bekannt-
lich am besten, und so testen die
Wulfener ihre Ausrüstung auch
schon mal auf langen Wanderungen
oder im intensiven Einsatz, bevor
sie ihre Erfahrungen und ihr histo-
risches Wissen weitergeben. Die
Besucher freut es, denn so lebendig
kann man die Vergangenheit nicht
überall erleben.
Wie im Flug vergeht das Wochenende, und am Sonn-
tag schließt die Burg zeitig – denn die Wulfener müs-
sen schließlich alle morgen wieder raus – im richti-
gen Leben, mit Kaffeemaschine und Bürocomputer.
Denn bei aller Begeisterung für das Hobby ist Sven
klar: „Wir sind moderne Menschen, und keine Spin-
ner, die sich das Mittelalter zurückwünschen.“ Mit
einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Es reicht ja, für
ein paar Tage im Jahr so zu leben.“
Text/Foto: Oliver Borgwardt
Freilichtmuseen wie die Lütjenburg bei Kiel bieten den Geschichtsfreunden eine perfekte Kulisse.
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