Eine ganz andere Art der Isolation

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Für Marcel Wnuk ist die Welt nicht mehr so, wie sie einmal war

Seit nun schon mehr als einem Jahr beschäftigt uns die Corona-Pandemie. Viele Menschen mussten Abschied nehmen, ohne es durch das bestehende Besuchsverbot wirklich zu können. Irgendjemanden, der in Quarantäne musste, kennen wir mittlerweile alle. Über eine Gruppe der Bevölkerung aber haben wir nicht viel gehört und uns auch wohl nicht wirklich damit beschäftigt, die der Menschen mit körperlicher oder auch geistiger Einschränkung. Für sie ist die Welt völlig durcheinandergeraten. Marcel Wnuk ist einer von Ihnen. Mit ihm und Michael Neuhaus, stellvertretender Leiter “Ambulant Unterstützendes Wohnen“ der Dorstener Lebenshilfe habe ich mich getroffen.

„Für Menschen mit Beeinträchtigung hat mit dem ersten Lockdown eine fast völlig neue Zeitrechnung begonnen“, erzählt Michael Neuhaus. „Im Frühjahr des letzten Jahres wurden im Gegensatz zum derzeit laufenden Lockdown zum Beispiel auch die Behindertenwerkstätten geschlossen. Für Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung waren von heute auf morgen nahezu alle sozialen Kontakte verschwunden. Nur die tägliche Unterstützung seitens unseres Dienstes sorgte für Kontakt und das bei einigen noch unter der Prämisse des vorgegeben Mund-Nasen-Schutzes, der für sie zum Teil schwer verständlich war.“ Michael Neuhaus und sein Team mussten viel sprechen, immer wieder erklären, auf die Gefahr hinweisen und auch Hoffnung für die Zukunft säen. „Das war ein enormer Kraftakt für uns“, so Neuhaus. Mit dem Ende des ersten Lockdowns wurde es für alle Beteiligten zunächst wieder einfacher. Doch mit dem seit Mitte Dezember andauernden Lockdown kamen die Probleme mit all ihrer Wucht zurück. „Die Werkstätten waren zwar dieses mal nicht betroffen und die Menschen mit Beeinträchtigung konnten zumindest am Arbeitsplatz soziale Kontakte pflegen. Aber nach Dienstschluss war es damit vorbei. Einzig die Mitarbeiter des “Ambulant Unterstützenden Wohnen" waren noch als Ansprechpartner vorhanden“, so Neuhaus.

Foto oben rechts: Marcel Wnuk leidet besonders unter den Kontaktbeschränkungen

Seit vielen Jahren hat Michael Neuhaus den Dorstener Marcel Wnuk als Klienten „Es ist vielleicht eine befremdliche Bezeichnung, aber so heißt es nun einmal im Fachjargon“, bezieht er sich auf die Bezeichnung Klient. Marcel Wnuk wohnt seit acht Jahren in einer kleinen, liebevoll gestalteten Dachwohnung in der Dorstener Innenstadt. Anfang Dezember fiel ein Test bei ihm positiv aus. Er hatte auf der Arbeit Kontakt zu einem Kollegen, der am Tag zuvor positiv getestet wurde. Michael Neuhaus, der mit ihm gemeinsam zum Arzt ging, begab sich nach seinem Test ebenfalls sofort in Quarantäne. Sein Test fiel zum Glück negativ aus. „Als wir über Marcels positiven Test Bescheid bekamen, fragte er mich, ob er nun bald auf den Friedhof zu seinem Papa kommen würde. Alleine daran erkennt man, mit welchen Ängsten sich auch Menschen mit Einschränkungen in so einem Fall beschäftigen. Diese Sorge konnten wir ihm zum Glück schnell nehmen. Marcel hatte einen sogenannten milden Verlauf. Starker Husten, Kopfschmerzen und Geschmacksverlust waren die Merkmale, die seinen Krankheitsverlauf prägten“, erklärt Michael Neuhaus. „Am schlimmsten war“, so Marcel Wnuk, „dass ich ab dem Zeitpunkt der Diagnose für zwölf Tage komplett isoliert in meiner Dachgeschosswohnung leben musste.“ Kein Mitarbeiter der Lebenshilfe durfte zu ihm kommen. Lebensmittel wurden ihm vor die Tür gestellt. Für Marcel Wnuk eine ganz schwierige Zeit, aber auch für das Team um Michael Neuhaus. „Es ist sehr schwierig, nur über Telefon und Videotelefonie mit unseren Klienten zu kommunizieren. Marcel hat das damals toll gemeistert, obwohl er wirklich viele Ängste hatte.“

Doch auch nachdem die Quarantäne für Marcel Wnuk am 19. Dezember vorbei war, war nichts mehr so wie zuvor. „Erst die Weihnachtstage, dann hatte die Werkstatt Ferien und auch noch alle Geschäfte und die Gastronomie waren wieder geschlossen. Somit fehlten alle Möglichkeiten für soziale Kontakte“, so Neuhaus und Marcel Wnuk wirft ein: „Das ist kein Leben für mich!“ Und obwohl der 29-Jährige nach den Weihnachtsferien wieder in die Werkstatt konnte, die im Gegensatz zum ersten Lockdown dieses Mal geöffnet blieb, fehlte es ihm in seiner Freizeit an Begegnungen. „Ich gehe gerne zu Tedi, Kik oder ins Nanu-Nana um dort zu stöbern“, so der traurige Dorstener, dem auch verwehrt bleibt, sich mit einem Freund im Eiscafé oder in der Bäckerei auf ein Stück Kuchen zu treffen, was er besonders liebt. Marcel Wnuk hofft, dass es bald wieder so ist wie früher. Er möchte wieder leben dürfen. Michael Neuhaus und sein Team versuchen ihm weiterhin Hoffnung zu vermitteln. „Wenn wir alle geimpft sind, dann bekommen wir auch unser normales Leben wieder zurück“, sagt Michael Neuhaus. „Ich will wieder leben. So ist das kein Leben für mich!“ sagt Marcel Wnuk noch einmal traurig.

Sie mögen jetzt vielleicht meinen, dass es ja für uns alle so ist. Doch können wir als Menschen ohne geistliche oder körperliche Beeinträchtigung wahrscheinlich besser damit umgehen. Oft leben wir in einem Familienverbund, können dort unsere sozialen Kontakte zwar eingeschränkt, aber doch pflegen. Wir wohnen auch vielleicht nicht mitten in der Stadt, eher am Grüngürtel oder in der Nähe eines großflächigen Parks. Für uns ist geöffneter Einzelhandel und geöffnete Gastronomie sicherlich nicht die fast einzige Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen. „Für Menschen mit geistiger oder körperlicher Einschränkungen ist die Zeit der Pandemie herausfordernder, das merken wir täglich im Umgang mit unseren Klienten“, weiß Michael Neuhaus ganz besonders um die Situation dieser Menschen.

Foto oben rechts: Michael Neuhaus, stellvertretender Leiter “Ambulant Unterstützendes Wohnen“ der Dorstener Lebenshilfe

Text und Fotos: Christian Sklenak

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