Dr. Nicolai Wolpert – der Hirnforscher aus Rhade

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Dr. Nicolai Wolpert – der Hirnforscher aus Rhade

Wie der Magen unsere Wahrnehmung beeinflusst

Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ haben nicht den besten Ruf. Sie gelten als wenig durchdacht oder rational. Tatsächlich scheinen Magen und Hirn aber mehr miteinander zu sprechen, als wir bisher dachten. Einer, der diesem Rätsel auf die Spur kommen will, ist Dr. Nicolai Wolpert aus Rhade.

Dr. Nicolai Wolpert ist an vielen Dingen interessiert. Der hochgewachsene junge Mann aus Rhade hat schon als Kind komplizierte Schiffsmodelle gebaut, ist bekennender Metal-Fan und in der Wulfener Geschichtsgruppe Furor Normannicus aktiv. Er liebt Museen, besucht historische Orte und geht Dingen gerne detailliert auf den Grund. Das schlägt sich auch in seinem Beruf als Wissenschaftler nieder. Besonders hat es ihm dabei der menschliche Verstand angetan.

So zog es ihn auch nach dem Studium nach Paris, wo er Kognitionswissenschaften studierte. „Dabei handelt es sich um eine interdisziplinäre Wissenschaft, die mittels vielseitiger Methoden versucht, menschliches Denken, Wahrnehmung und Handeln zu verstehen“, erklärt er. Wolpert spezialisierte sich auf die Neurowissenschaften, die sich der Erforschung des menschlichen Nervensystems widmen. Mit Erfolg: Für seine Doktorarbeit wurde er an einer der besten Universitäten der Welt aufgenommen, der Ecole Normale Supérieure in Paris.

Und hier kommen wir wieder zum „Bauchgefühl“. Nicolai Wolpert wollte herausfinden, wie das Gehirn mit dem Magen zusammenarbeitet und welchen Einfluss dies auf die Wahrnehmung hat. Mit Emotionen hat das aber eher wenig zu tun. „Der Magen generiert nämlich einen langsamen elektrischen Rhythmus, der erstaunlicherweise mit schnelleren Oszillationen im Gehirn gekoppelt ist – das kann man sich wie einen Schrittmacher vorstellen“, erklärt Wolpert. „Man weiß noch sehr wenig darüber, wie dies funktioniert, geschweige denn welche Rolle dies genau spielt.“ Einige Wissenschaftler glauben aber, dass der Magen Einfluss auf die Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und visuelle Wahrnehmung nehmen kann. „Der Magenrhythmus beeinflusst nämlich besonders die Alpha-Wellen im Gehirn, welche mit diesen Prozessen assoziiert sind“, betont Wolpert.

Im Labor ging der junge Wissenschaftler diesem Geheimnis weiter auf den Grund. Er verkabelte verschiedene Versuchspersonen und ließ sie unterschiedliche Aufgaben lösen. „In diesen Arbeiten konnte ich bestätigen, dass der Alpha Rhythmus des Gehirns mit dem Magenrhythmus gekoppelt ist“, freut sich Wolpert. Und noch mehr: Je nachdem, wie gut Magen und Hirn miteinander arbeiten, verbessert oder verschlechtert das die Wahrnehmung der Versuchspersonen. Zwar ist hier noch weitere Forschung nötig, aber die Ergebnisse zeigen bereits, dass der Volksmund mit seinem „Bauchgefühl“ wohl gar nicht so unrecht hat. Jedenfalls scheint der Magen unser Denken und unsere Wahrnehmung viel stärker zu beeinflussen, als man bisher angenommen hatte.

Und können Forscher auch unseren Alltag verändern? Aber ja, betont Nicolai Wolpert. „Nach meiner Promotion wollte ich in einen praktischeren Bereich gehen. Hier wollte ich die neurowissenschaftlichen Methoden die ich gelernt habe für etwas anwenden, das einen direkten Nutzen für den Alltag haben kann“, so der junge Rhader. Daher hat er eine Stelle an einem großen französischen Unternehmen angenommen, das in vielen Ländern weltweit ansässig ist und unter anderem vielfältige innovative Projekte betreibt. „Darunter gibt es auch eine Gruppe, die an Mensch-Maschine Schnittstellen arbeitet“, erklärt Wolpert. „Dieser habe ich mich vor einem halben Jahr angeschlossen.“ Es klingt fast wie Science Fiction: Mit einer Mensch-Maschine Schnittstelle kann man Geräte einfach durch die Gedanken steuern. Ein Gerät, das das Gehirn „liest“, sendet Signale an ein externes Gerät. Das kann etwa ein Roboter sein, der mit Denkbefehlen gesteuert wird. 

Dank neuester Fortschritte in den Neuro- und Ingenieurswissenschaften eröffnen sich so vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, freut sich Nicolai Wolpert. „Ich arbeite derzeit an einem Projekt zur Entwicklung einer Mensch-Maschine Schnittstelle zur Erkennung von Stress und Aufmerksamkeit zur Vermeidung von Unfällen“, erklärt er. „Mein Unternehmen hat nämlich eine Partnerschaft mit einem öffentlichen Unternehmen, das für die Stromverteilung zuständig ist. Dessen Arbeiter operieren oft in riskanten Situationen. An Hochspannungsnetzen kann eine Unaufmerksamkeit oder mentale Überlastung schnell zu gravierenden Unfällen führen.“ 

Das Ziel sei daher, ein tragbares Gerät zu entwickeln, das die Arbeiter rechtzeitig vor zu hoher psychischer Beanspruchung oder Müdigkeit warnt. „Das ist ähnlich einem Frühwarnsystem im Auto“, so Wolpert. Dabei werden die Hirnströme ständig gemessen und durch einen Computer ausgewertet. Sollte etwa ein kritischer Stresslevel erkannt werden, erhält der Arbeiter eine deutliche Warnung. So lassen sich vielleicht bald einige lebensgefährliche Unfälle vermeiden.

„Bis das System dann wirklich zum Einsatz kommt wird es wohl noch dauern“, lächelt Dr. Wolpert „Aber dieses spannende Projekt zeigt, wie sich neurowissenschaftliche Methoden für die Grundlagenforschung aus dem Labor tragen lassen und in angewandten Bereichen zum Einsatz kommen.“

Foto oben rechts: Dr. Nicolai Wolpert beim Selbstversuch im Labor

Text: Oliver Borgwardt
Fotos: privat

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