Die Absturzforscher

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Die Absturzforscher

„Interessengemeinschaft historische Militärluftfahrt“

Der Zweite Weltkrieg hat vor 80 Jahren unendliches Leid gebracht. Trotz der langen Zeit ist noch immer nicht jedes Schicksal aufgeklärt. Einer kleinen Gruppe von Ehrenamtlern ist es aber zu verdanken, dass auch heute noch das eine oder andere Rätsel gelöst werden kann.

Manchmal ist es nur eine Scherbe, oder ein verbogenes Stück Metall, halb verborgen unter Lehm und Erde. Ein unbedarfter Beobachter würde kaum Notiz davon nehmen, sondern einfach darüber hinweg schreiten. Nicht aber Matthias Hundt, Simon Terhardt, Hans-Josef Lehrich oder Sascha Weltgen. Für sie sind solche Überreste wichtige Spuren für ihre Suche, mit denen sie schon so manchen Angehörigen Gewissheit und Frieden gebracht haben.  Im Mittelpunkt ihres Interesses: Abgestürzte oder abgeschossene Kampfflugzeuge, deren Verbleib bislang ungeklärt war.

Das kam während des Krieges auch über Dorsten häufiger vor, als man gemeinhin vermuten würde. Nicht jeder Abschuss wurde sofort dokumentiert oder überhaupt beobachtet, so dass die Besatzungen von nicht zurückgekehrten Flugzeugen teilweise immer noch verschollen sind. „Wir haben bisher über 100 Abstürze sicher identifiziert“, erklärt Matthias Hundt. Ihre Arbeit haben die Forscher bereits in mehreren Sachbüchern dokumentiert.

Foto oben rechts: Archäologische Grabung durch die DPAA im Raum Reken. Hier konnten nach Hinweisen der Forscher die sterblichen Überreste einer vermissten Flugzeugmannschaſt geborgen werden.
Foto: Sascha Weltgen

Seit elf Jahren arbeiten die vier Männer bereits erfolgreich zusammen und sind auch unter ihrem Vereinsnamen „Interessengemeinschaft historische Militärluftfahrt“ oder kurz „IHM“ bekannt. Zusammen gefunden haben sie eher zufällig. „Meine Mutter hatte davon gesprochen, dass am Flugplatz Schwarze Heide im Krieg ein Flugzeug abgestürzt sei“, erinnert sich Hans-Josef Lehrich. „Das hatte mein Interesse geweckt.“ Bei seinen Recherchen bat er den lokalen Förster um die Erlaubnis, ein Waldstück zu untersuchen – und dieser vermittelte den Kontakt zu Sascha Weltgen. Dieser hatte ebenfalls familiäre Gründe für sein Interesse: „Auf dem Acker meines Großvaters ist seinerzeit auch ein Flieger niedergegangen“, berichtet er. Nachdem er eher zufällig auf die ersten Wrackteile gestoßen war, hatte ihn die Neugier nicht mehr losgelassen. Mit Simon Terhardt aus Oberhausen und dem Dorstener Matthias Hundt fand sich dann über Empfehlungen und Internetrecherchen dann ein effektives Quartett zusammen. Jeder habe dabei seine Spezialfähigkeiten, erklärt Matthias Hundt. So ist der Dorstener Fotograf ein akribischer Auswerter von historischen Luftbildern, während Sascha Weltgen fast jede Schraube an den historischen Flugzeugen zuordnen kann. Hans-Josef Lehrich hingegen verfügt über einen enormen Schatz an Kontakten, von örtlichen Landwirten über Historikern bis hin zu den zuständigen Behörden. Außerdem informieren sie in Vorträgen und Ausstellungen die Öffentlichkeit über ihre Entdeckungen.

Denn eines ist für die Gruppe unumstößlich: Sie arbeiten immer mit offizieller Genehmigung. „Jeder Absturz ist ja auch mit menschlichen Schicksalen verbunden“, erklärt Weltgen und hält eine Scherbe Panzerglas hoch. Sie stammt von einem viermotorigen Bombertyp, der meist mit sieben bis zehn Männern besetzt war. Wenn ein solches Flugzeug vom Einsatz nicht zurückkehrte, waren also sieben bis zehn Familien betroffen. Wenn die Besatzungen nicht mehr gefunden wurden, galten sie als vermisst – manchmal bis heute.

Foto oben rechts: (v. l.) Die Forscher Matthias Hundt, Simon Terhardt, Hans-Josef Lehrich und Sascha Weltgen  Foto: IHM

Um den Angehörigen Sicherheit zu geben, arbeiten die ehemaligen Kriegsgegner heute Hand in Hand. Die USA unterhält sogar eine eigene Behörde, die sich nur um die Auffindung und Rückführung vermisster und gefallener Soldaten kümmert – die DPAA. Illegale Sondengänger und Trophäenjäger sind der Behörde ein Dorn im Auge, aber mit seriösen Hinweisgebern wie den vier Heimatforschern arbeiten sie gerne zusammen. Schon oft haben sie den entscheidenden Hinweis geliefert, etwa ein Wrackteil mit einer Seriennummer. „Jedes Bauteil ist einem bestimmten Flugzeug zugeordnet“, erläutern die Experten. Wenn sich in den Unterlagen der Armee ein Eintrag findet, dass der Pilot den Absturz überlebt hat oder er tot geborgen werden konnte, ist der Fall schnell erledigt. „Wenn die Besatzung aber noch als vermisst gemeldet wird, geht es richtig los“, sagen die Ehrenamtlichen mit großem Ernst. Wie Teile in einem großen Puzzle sichten die Männer Tagebuchaufzeichnungen und Archivmaterial, untersuchen Luftbilder und befragen Zeitzeugen oder deren Nachfahren. Schon mehrere Male konnten sie so die entscheidenden Hinweise zum Verbleib eines Wracks geben. Dieses wurde dann von den Behörden ausgegraben, um die sterblichen Überreste zu bergen. Im Laufe der Jahre entstanden so auch viele bewegende Begegnungen und Briefwechsel mit Angehörigen. „Einmal trafen wir sogar einen hochbetagten Piloten, der noch einmal seine Absturzstelle besuchen wollte“, berichten die vier „Flugzeug-Detektive“. Solche emotionalen Begegnungen seien für die Männer der beste Ansporn, weiterzumachen. Bereits jetzt sind sie schon dem nächsten großen Fall auf der Spur. Aber natürlich könne man jetzt noch nicht viel verraten. Schließlich sei das Puzzle noch nicht ganz komplett. Und wer noch das eine oder andere Stück beizutragen hat, etwa Erzählungen oder Funde, kann sich bei Matthias Hundt unter fotografiehundt@unitybox.de melden.

Foto oben rechts: Bei den Ausstellungen werden auch Flugzeugteile präsentiert, wie hier der Nachbau des Instrumentenbretts eines deutschen Jagdflugzeugs
Foto: IHM

Text: Oliver Borgwardt
Fotos: Matthias Hundt und Sascha Weltgen

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