Heute treffe ich Martin Köcher

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Heute treffe ich Martin Köcher

Traumberuf Archivar
Meine Vorstellung eines Archivars war die eines weltfremden Eigenbrötlers, der sich in Akten vertieft. Martin Köcher ist jedoch genau das Gegenteil. Der freundliche Holsterhausener geht offen auf mich zu und redet so begeistert von seiner Arbeit, dass mir schnell klar wird: Archivar ist wirklich sein Traumberuf. „Ich erlebe hier meine Heimatstadt jeden Tag für mich neu“, bringt es Martin Köcher auf den Punkt.

Seit dem 1. Juli ist Martin Köcher der neue Leiter des Dorstener Stadtarchivs und somit Nachfolger von Christa Setzer. Wieder zurück im Dorstener Archiv ist er jedoch bereits seit Februar dieses Jahres.
In die Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste Fachrichtung Archiv bei der Stadt Dorsten wurde er nach dem Abschluss der Höheren Handelsschule sanft von seinen Eltern geschubst. „Ich wusste nicht so genau, wie die Ausbildung aussehen würde, aber ich habe den Schritt nie bereut“, versichert der 39-Jährige.

Nach bestandenem Abschluss im Jahre 2002 zog es den jungen Archivar zum Verwaltungsarchiv der Aral AG nach Bochum und acht Jahre später nach Münster ins Archiv des Denkmalamtes beim Landschaftverband Westfalen-Lippe (LWL). Von dort führte ihn sein nächster Weg ins Bistumsarchiv nach Essen, „Die Arbeit war interessant, doch mir fehlte der Kontakt zu Menschen“, gibt mein Gesprächspartner offen zu. So zog es ihn wieder zurück. Zurück ins Dorstener Archiv, zurück zu seiner ehemaligen Ausbilderin Christa Setzer, zurück zu den Besuchern, denen er helfen konnte.

Martin Köcher schließt die Tür zum Archiv auf. Hier lagert die Geschichte Dorstens. Greifbar für jedermann. Und das ist durchaus wörtlich gemeint, denn Martin Köcher und sein Kollege Sebastian Hemprich stellen sämtliche Dokumente interessierten Personen für Recherchezwecke zur Verfügung, achten jedoch mit Argusaugen darauf, dass sie alle Unterlagen heile zurückbekommen.

„Hier im ersten Raum befinden sich sämtliche Printmedien aus Dorsten, darunter auch der „Argus“, eine Zeitung aus dem Jahre 1804, dazu Urkunden, Karten und Pläne, Fotos der Stadt Dorsten, Postkarten sowie Festschriften und Programme diverser Vereine, Kitas oder Schulen“, erklärt mir der Vater zweier Töchter. Auch Strafmandate, Unterlagen der Ausländerbehörde oder auch des Bauamtes lagert er hier ein und kann damit die Geschichte verschiedener Häuser nachvollziehen oder nachforschen, wann und warum eine Straße umbenannt wurde.

Alle Unterlagen sind fein säuberlich aufgelistet nach einem System, das einen schnellen Zugriff gestattet. Auch Aktuelles aus Dorsten listet Martin Köcher zumindest stichwortartig in eine spezielle Software. „So weiß man in einigen Jahren wirklich genau, und nicht nur vom Hörensagen, wer in welchem Jahr bei der Ehrenamtsgala ausgezeichnet wurde oder welcher Verein die Stadtmeisterschaft gewann“, erklärt er mir den Grund dafür.

Foto oben rechts: Martin Köcher im Dorstener Archiv

Als der engagierte Archivar einen Schrank öffnet und auf ein Dokument hinweist, zeigen mir die weißen Handschuhe im Inneren an, dass es sich hier um empfindliche, teure, wichtige oder ganz alte Dokumente handeln muss. In diesem Fall um ein altes Pergamentdokument aus dem Jahre 1330. Dorstens Urkunde zur Stadtgründung im Jahre 1251 liegt jedoch leider nicht hier, sondern in Xanten.

Im nächsten Raum wird es interessant für die Ahnenforscher. Hier ist die Geschichte sogar riechbar, denn das alte Papier verströmt seinen eigenen Geruch. Seit 1874 werden hier im Archiv die Bücher des Dorstener Standesamtes und seit 2009 Sterbe- und Geburtsbücher gelagert. So lange kann also hier die Familiengeschichte verfolgt werden. „Ich bin gut beschäftigt, kein Tag ist wie der andere, ich weiß nie, was auf mich zukommt, wobei ich behilflich sein kann oder was ich im Voraus recherchieren kann“, schildert Martin Köcher seinen Berufsalltag. „Interessiert sich heute jemand für die Stadtgeschichte, sucht morgen eine andere Person vielleicht nach einem Verwandten wegen einer Erbschaftsangelegenheit“, fährt er fort. Auch Martin Köcher selbst sucht: das Gemälde eines brutalen Menschenfressers aus Dorsten. Es hing bis zum Zweiten Weltkrieg im Rathaus, ist danach jedoch verschollen. Gefunden hat er es bisher noch nicht – vielleicht ist das auch gut so.

Ausgleich zum Job findet der Stadtarchivar neben seiner Familie auch beim Schützenverein Holsterhausen ‘53 oder als ehrenamtlicher Jugendschöffe bei der Jugendstrafkammer im Landgericht Essen. Und, wen wundert’s, Martin Köcher interessiert sich auch privat für seine eigene Familiengeschichte.

Jedes Dokument ist ein Unikat, daher wird auch genau dokumentiert, wer was wann eingesehen hat. Dienste und Benutzung sind nach telefonischer Anmeldung unter 02362 664072 kostenlos, allerdings greift auch hier der Datenschutz. Einige Dokumente sind erst nach 30 Jahren, andere nach noch längerer Wartezeit einsehbar.

Foto oben rechts: Martin Köcher (rechts) mit seinen Schützenbrüdern (v. l.) Schützenkönig Tobias Prost, Andreas Pieczkowski und Tim Glaser

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak, privat

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