Östrich: Natur- und Reitsport- Eldorao

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Östrich: Natur- und Reitsport- Eldorao

In der heutigen Ausgabe unserer Stadtteilserie bringen wir Ihnen Dorstens drittkleinsten Stadtteil etwas näher.

Südlich an die Lippe stoßend, wird er östlich von der Hardt und westlich von Gahlen und Kirchhellen eingeschlossen. Der ländliche Stadtteil steht mit seiner Natur für Erholung pur inmitten der Wälder oder hoch oben am Hardtbergsee. Bereits seit über 120 Jahre betreibt die heutige Firma Euroquarz das Quarzsandwerk im westlichsten Stadtteil von Dorsten. 

Der beliebte Wohnort innerhalb Dorstens ist umgeben von teils unberührter Natur. Er gehört bereits seit 1975 nicht mehr zu Gahlen (Schermbeck), dennoch fühlen sich immer noch viele Bewohner dem Nachbarstadtteil verbunden. Auch spielt der westliche Nachbar immer noch eine große Rolle hinsichtlich der Zugehörigkeit oder der Namenswahl verschiedener Vereine. Ob Reiterverein, Schützenfest, Kirchengemeinde oder der gemeinsame Terminkalender, alle haben noch Bezug zu ihm.

Geschichte
Die Dorstener Geschichte Östrichs ist relativ kurz oder auch sehr alt, je nachdem, wie man sie betrachtet. Um 900 schenkte die Edelfrau Athlgard der Abtei Werden vier Höfe in der Gemarkung Gahlen, Hardt und Östrich. 1614 wurde Gahlen mit Östrich und der Hardt preußisch und gehörte ab 1815 schließlich zum Kreis Dinslaken. 1929 wurde die Hardt in Dorsten eingemeindet, der Hardtberg und Östrich folgten 1975. Ein Teil Östrich gehörte jedoch schon weit vorher, bevor es Gahlen zugeordnet wurde, zu Dorsten, wie auf alten Karten zu erkennen ist. Aus Westfalen wurden Rheinländer und nun wieder Westfalen. Die Clemens-August-Straße, früher Grenzstraße genannt, trennte nicht nur sprachlich die Westfalen von den Rheinländern, sondern auch die westfälischen Katholiken von den evangelischen und katholischen Christen aus dem Rheinland.  

Foto oben rechts: ein inniger Moment mit Amelie und ihrem Pferd 

Der Reitverein
„Standorttechnisch gehören wir zum Pferdesportverband Rheinland, unser eigentlicher Standort liegt jedoch in Westfalen-Lippe, wie auch am Vereinsnamen sichtbar wird. Das hat den Vorteil, dass bei uns zwei Bürgermeister die Ehrenansprachen halten“, schmunzelt Christiane Rittmann, die erste Vorsitzende des Reitvereins Gahlen-Lippe-Bruch. Der Reitverein wurde 1927 gegründet, am 1. Dezember 1960 wurde die erste Reithalle an der Nierleistraße eingeweiht. „Früher wurden wir automatisch in den Verein hineingeboren“, erläutert Georg Nachbarschulte mit einem Augenzwinkern. Sein Vater Heiner Nachbarschulte war 50 Jahre im Vorstand, heute ist er selbst dort aktiv. „Auch heute noch können wir uns mit 450 Mitgliedern aus Dorsten und der Umgebung sehen lassen.“
Jedes Jahr im Januar organisiert der Verein eines der größten Turniere in der Umgebung. Mit bis zu 7000 Besuchern an diesem Wochenende ist es die größte Sportveranstaltung in Dorsten, interessant auch für Gäste, die nicht aus dem Reitsport kommen. Aber hier wird nicht nur geritten, der Verein ist unter Reitern auch bekannt für seine Pommes-Currywurst und die jeweilige Waffel des Jahres. „Die Nachfrage nach Turnierreiten ist gesunken, der sportliche beziehungsweise der Freizeitaspekt stehen nun mehr im Vordergrund“, weiß die Vorsitzende und fährt fort: „Dadurch hat sich unsere Struktur im Verein geändert und wir können verschiedene Interessen besser abstimmen.“
Neben dem Januarturnier stehen drei weitere große Veranstaltungen im Verein an, wobei auch die Jugend sehr aktiv und kreativ ist. Mit einem selbstgedrehten Video bewarben sie sich bei der Verlosung eines Springtrainings mit Bundestrainer Otto Becker von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und gewannen. „Das war ein ganz besonderer und schöner Jahresabschluss für uns“, freut sich Christiane Rittmann.

Foto oben rechts: Christiane Rittmann und Georg Nachbarschulte engagieren sich stark im Reitverein Gahlen-Lippe-Bruch

Der Junggesellenverein
Trinkfest müssen sie sein, die 16- bis 30-Jährigen, ansonsten werden sie es zwangsläufig auf der Jagd nach der Wurst. Anfang des Jahres ziehen die Junggesellen an einem Samstag von 6:00 Uhr morgens bis abends um 20:00 Uhr los und schellen an jeder Tür in Östrich. Sie werden bereits erwartet, Wurst und Eier stehen für sie bereit. Als Dank gibt es für die Spender einen Korn, aber auch die Sammler gehen meistens nicht leer aus. „Da wir fast alle Einwohner hier kennen, dauern die Türgespräche auch schon mal länger“, schmunzelt Junggeselle Dirk Schürhoff. „Und je später der Tag, umso mehr freuen sich die Jüngsten, denn sie haben die ‚Ehre‘ die 16-Liter-Gallone Schnaps zu tragen, die sich allmählich leert“, ergänzt Nils Löhrmann, ein weiteres Vereinsmitglied.
Der Brauch des Wurstjagens ist vor hundert Jahren in der Region Gahlen/Östrich/Besten und auf der Hardt entstanden und wird nun von der Östricher Jugend fortgeführt. Wer es schafft, sich bis zu seinem dreißigsten Geburtstag vor der Eheschließung zu drücken, der wird Ehrenmitglied, wer vorher unter die Haube kam, der wird unehrenhaft entlassen.

Foto oben rechts: Nils Löhrmann (l.) und Dirk Schürhoff freuen sich auf die Veranstaltungen des Junggesellenvereins

Freitagabend vor dem Beutezug schälen die unverheirateten Mädchen Berge an Kartoffeln, damit abends gemeinsam bei Sauerkrautstampf mit Wurst gegessen und anschließend zünftig gefeiert werden kann. Zur Unterhaltung treten dabei die Junggesellen auf und „egal, wie viel wir tagsüber auch getrunken haben, das ziehen wir professionell durch“, lacht Dirk Schürhoff.
Ein „richtiger“ Verein sind die Junggesellen nicht und ihre Mitgliederzahl schwankt zwangsläufig, „dennoch treffen und unternehmen durchschnittlich etwa 80 Prozent aller Jugendlichen im betreffenden Alter aus dem Ort etwas mit uns“, freut sich Nils. „Mehr Möglichkeiten haben die Jugendlichen hier ja leider nicht“, bedauert Dirk.

Foto oben rechts: Erst schälen die ledigen Mädchen die Kartoffeln, danach wird zünftig mit den Junggesellen gefeiert

Die Stadtteilkonferenz
Anfang 2019 gründeten die Bewohner ihres Stadtteils das „Östricher Bürgerforum“. Mittlerweile luden die Organisatoren des Forums, Theo Brockmann und Werner Kapteinat, bereits zum sechsten Mal zum Bürgertreffen. „Wir handeln bürgerschaftlich und ehrenamtlich, werden dabei aber von der Stadt personell bei den Vorbereitungen unterstützt“, weiß Werner Kapteinat. „Jung und Alt setzen sich gemeinsam zusammen und überlegen, was gut für den Stadtteil wäre“, ergänzt Dirk Schürhoff, der als Mitglied im Junggesellenverein eher der jüngeren Generation zugeordnet wird. „So bündeln wir unsere Synergien.“
Die etwa 100 Teilnehmer des Bürgerforums entscheiden über das Budget von einem Euro jährlich pro Einwohner des Stadtteils. „Durch diese große Beteiligung werden Wünsche deutlich und können besser umgesetzt werden“, so Werner Kapteinat.
Die Erfolge durch die Bürgerinitiative können sich trotz der kurzen Gründungsdauer sehen lassen: Aus dem Bürgerbudget des „Östricher Bürgerforums“ wurden bereits eine Sitzbank sowie ein Bürgerfrühstück und das Sommerfest am „Rehbaumgelände“ finanziert und organisiert. Gemeinschaft wird hier großgeschrieben und so bauten die Mitglieder mit großer Beteiligung zahlreiche Meisennistkästen gegen den Eichenprozessionsspinner und hängten sie in die Bäume. Die Anlage einer Boule-Bahn wird demnächst in Angriff genommen, eine Wetterschutzhütte sowie eine Mitfahrbank sind in Planung. „Und die Erneuerung der Beleuchtung entlang des Schulweges haben wir ebenfalls fest im Auge“, beteuert Werner Kapteinat. „Abgesehen von all den Planungen sind der Spielplatz und die angrenzende Wiese jetzt schon nutzbar und werden hoffentlich zum Treffpunkt vieler Östricher“, wünscht er sich.

Foto oben rechts: Werner Kapteinat, Mitorganisator des Bürgerforums

Die Schule
Klein, fein und familiär, so lässt sich die städtische Wilhelm-Lehmbruck-Schule in Östrich kurz beschreiben. Bei der Eröffnung im Jahre 1929 hieß sie noch „evangelische Volksschule Gahlen-Östrich". Seit der Stadtteil jedoch Dorsten zugeordnet wurde, trägt die Schule den Namen des Bildhauers und Malers Wilhelm Lehmbruck. Seit dem 15. September 2003 ist sie die erste offene Ganztagsgrundschule in Dorsten.
Die 100 Kinder, die auf vier Klassen aufgeteilt sind, fühlen sich hier wohl und können zum größten Teil ihren Schulweg zu Fuß bestreiten.

Foto rechts: Klein, fein und familiär: die Wilhelm-Lehmbruck-Schule

 „Durch unser Alleinstellungsmerkmal der OGS in Trägerschaft des Elternvereins, haben wir einen großen Zulauf über unsere Stadtteilgrenzen hinaus“, weiß Patricia Günther-Grasedieck. Sie ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende des Elternvereins und bekleidet ebenso seit 2016 die Position der Ganztagsschulkoordinatorin. Die eigene Trägerschaft der Schule im Rahmen des Elternvereins und der verlässliche Kooperationspartner Stadt Dorsten, machen es möglich, die Gelder flexibler zu verwalten und direkt wieder in die Arbeit mit den Kindern zu investieren. Auch der Förderverein trägt sehr zu einem Wohlfühlklima innerhalb der Schule bei. „Unser Förderverein, der sich im November 1995 gründete, ist mit 80 Mitgliedern stark besetzt“, erzählt Georg Nachbarschulte, der sich neben seiner Vorstandsarbeit im Reitverein auch im Förderverein der kleinen bilingualen (deutsch-englisch) Grundschule engagiert. „Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist sehr gut“, betont Patricia Günther-Grasedieck. „Ohne Leidenschaft kein Brennen“, ist ihr Motto und so geht die fröhliche Koordinatorin völlig in ihrer Aufgabe auf und kennt keinen wirklichen Feierabend. „Ich bin Östricherin und habe Spaß an der Gemeinschaft und am Ehrenamt, ‚immer im Dienst zu sein‘ nehme ich daher gerne in Kauf.“ 

Foto oben rechts: Patricia Günther-Grasedieck brennt für ihre Arbeit

Die Kirchen
Auch die Kirchen spiegeln die Zerrissenheit des Stadtteils wider. Besser gesagt, die fehlenden Kirchen. Die evangelische Friedenskirche im Stadtteil Hardt gehört zur rheinländischen Kirchengemeinde Gahlen-Hardt, steht jedoch auf westfälischem Grund. Sie wird hauptsächlich von jüngeren Kirchenbesuchern benutzt, die älteren besuchen den Gottesdienst in Gahlen.
Die katholische Nikolauskirche auf der Storchsbaumstraße auf der Hardt ist die Gemeindekirche für die beiden Stadtteile Östrich und Hardt. „Da der Weg zur Nikolauskirche für viele Östricher jedoch zu weit war, hielt die Gemeinde in früheren Jahren viermal jährlich Familiengottesdienste ‚bei Nachbarschulte‘ ab. Nur Prozessionen begingen die Gläubigen gemeinsam“, erinnert sich Ursula Ansorge, ehemalige Stadtbeauftragte des Malteser-Hilfsdienstes in Dorsten. Auch friedhofstechnisch gehen Katholiken und Protestanten getrennte Wege und wählen zwei verschiedene Städte. „Katholiken werden auf dem 1988 eröffneten kommunalen Friedhof „Plaggenbahn“ auf der Hardt beerdigt, die evangelischen Christen wählen dagegen den Friedhof in Gahlen als letzten Ruheort“, berichtet Ursula Ansorge weiter.

Der Hardtbergsee
Wenn Sie die Bestener Straße hinauffahren, dann stehen Sie vor den Toren der Euroquarz GmbH. Auf dem Hardtberg, der mit dem Lehmberg früher ein beliebtes Rodelparadies war, liegt der Hardtbergsee. Er ist der größte der Seen hier oben, die durch die Gewinnung von Quarzsand durch die Firma Euroquarz entstanden sind. Der Baggersee wurde 1983 als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Aufgrund der „brauen“ Vergangenheit seines Namensgebers wurde der Tillessensee im Jahre 2016 in Hardtbergsee umbenannt. Dennoch heißt er bei vielen Dorstenern weiterhin Tillessensee.

Foto oben rechts: Luftaufnahme des Abbaugebietes der Firma Euroquarz

Infrastruktur
Das Neubaugebiet „Am Rehbaum“ entstand vor mehr als 50 Jahren“, erinnert sich Ursula Ansorge. „Damals waren wir hinsichtlich der Infrastruktur noch sehr gut aufgestellt. Wir hatten vier Gaststätten, zwei Lebensmittelgeschäfte, eine Apotheke, einen Arzt, die Volksbank, einen Blumenladen, zwei Heißmangeln und das Taubenhaus war unser aller Treffpunkt.“ Die Mitgründerin des „Ambulanten Hospizdienstes“ hat den schnellen Wandel des Ortsteils miterlebt. „Bis in die 1960er-Jahre hinein feierten wir hier unsere auch unser eigenes Kinderschützenfest, nun ist der Schützenverein mit einer Kompanie im Schützenverein Gahlen vertreten.“
„Die städtische Wohnform eingebunden ins dörfliche Umfeld, funktioniert im Zusammenleben“, versichert Georg Nachbarschulte. Schwierigkeiten mit den zugezogenen Bürgern des Neubaugebietes und den Alteingesessenen des Hardtberges gibt es nicht. Ursula Ansorge ergänzt: „Eher im Gegenteil, sowohl vom Nachbarort Gahlen, als auch von den älteren Bewohnern wurde von den Zugezogenen Brauchtümer wie das Kränzen oder die Aufgabe des Notnachbarn übernommen.“
Was hier allerdings auf den ersten Blick fehlt, das sind Geschäfte. „Wir kaufen hier beim Bäcker ein, fahren zum Einkaufen nach Besten oder kaufen viel regional von umliegenden Bauerhöfen“, berichtet Georg Nachbarschulte. Für die fehlenden Geschäfte haben die Östricher dennoch eine Lösung gefunden: Neuigkeiten gibt es im Getränkemarkt beim „Lothar“, der zum allgemeinen Treffpunkt wurde – und Getränke gibt es hier auch zu kaufen.

Foto oben rechts: Ursula Ansorge lebt seit mehr als 50 Jahren in Östrich

GPS-Koordinaten: 51° 39' 27.544" N     6° 54' 44.968" E
Fläche gesamt 614,24 ha, Wohnfläche 38,03 ha, Industrie- und Gewerbefläche 75,58 ha
Schule: Wilhelm-Lehmbruck-Grundschule
Kindergarten: Am Rehbaum
Kirchen: St. Nikolaus und Ev. Friedenskirche (beide auf der Hardt)
Einwohner: 2104
Quelle: Stadt Dorsten, www.laengengrad-breitengrad.de

Eckpunkte in der Geschichte
Um 900: Schenkung eines Hofes in der Gemarkung Östrichs
Vor 1045 oder 1075: Der Adelshof Dorsten inklusive der Hardt wird dem Kanonikerstift Xanten übertragen
14. Jahrhundert: Der Schölzbach bildet die Grenze zwischen Dorsten und Gahlen-Hardt und damit auch mit Östrich
1614: Das Herzogtum Kleve, und somit Gahlen und die Hardt, gehen an Brandenburg-Preußen über
1815: Die Bürgermeisterei Gahlen mit ihren Bauernschaften Besten, Östrich und Hardt gehört nun zum Kreis Dinslaken
1897: Gründung der „Westfälischen Sand- und Thonwerke“
1926: Einweihung der ev. Volksschule Gahlen-Östrich
1927: Gründung RC Gahlen Lippe-Bruch
1929: Die Hardt wird in die Stadt Dorsten eingemeindet, Östrich bleibt jedoch niederrheinisch
1956: Gründung der Westdeutschen Quarzwerke Dr. Müller GmbH
1965: Die „Rehbaumsiedlung“ entsteht
1975: Der Hardtberg und Östrich werden in Dorsten eingemeindet
1992: Eröffnung des Kindergartens „Am Rehbaum“
2000: Umfirmierung des Quarzwerkes in Euroquarz GmbH
2003: Die Wilhelm-Lehmbruck-Schule wird die erste offene Ganztagsgrundschule in Dorsten
2009: Einweihung der Mehrzweckhalle

Text: Martina Jansen
Fotos: Christian Sklenak, Marc Gruber, Euroquarz GmbH und Heimatmedien Petra Bosse
Quelle: Stadt Dorsten, wikipedia.de

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