59° 51′ N , 13° 33′ O

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

59° 51′ N , 13° 33′ O

Nicole Ludigkeits neues Zuhause in Schweden

Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an Schweden denken? Pippi Langstrumpf und ihre Villa Villekulla? So ist es jedenfalls bei mir. Mit der Realität hat diese Vorstellung natürlich wenig gemeinsam, außer der Tatsache, dass Schwedinnen und Schweden äußerst friedliche und entspannte Menschen sind, wie Nicole mir erzählt. 

„Schweden ist anders, nicht besser und nicht schlechter, eben anders.“ So empfindet Nicole Ludigkeit, die mit ihrem Lebensgefährten Andreas Jabobi seit Januar 2024 in Schweden wohnt. Ich kenne Nicole bereits seit Jahren, und ich weiß, dass sie ein Freund schneller Entscheidungen ist. Von daher verwundert es mich nicht, dass sie von Dorsten erst in den Norden Deutschlands und anschließend noch weiter in den Norden gezogen ist.

Foto oben rechts: Nicole Ludigkeit

Ihre große Veränderung begann während ihrer Reise zum Nordkap. „Wir waren total überwältigt von der grandiosen Natur und auch von der Herzlichkeit der Menschen dort“, ist Nicole immer noch begeistert. Im Überschwang der Gefühle wollten beide direkt einen feststehenden Wohnwagen auf einem Campingplatz in der Nähe der deutschen Grenze kaufen. „Zum Glück haben wir jedoch rechtzeitig festgestellt, dass die Wege zu Ärzten oder Geschäften in Norwegen dann doch zu lang wären.“ Zu dem Zeitpunkt arbeitete Nicole in einem deutschen Hotel, das kurz darauf ein weiteres Hotel in Dänemark eröffnen wollte. Ihre Chancen dort zu arbeiten standen sehr gut, aber Dänemark war den beiden dann doch zu überlaufen mit Touristen, also rückte Schweden ins Blickfeld.
Auch Andreas ist scheinbar ein Freund der schnellen Entscheidungen und überraschte seine Partnerin vier Wochen später, als sie von der Arbeit nach Hause kam, mit den Worten: „Pack schnell etwas ein, wir schauen uns in Schweden vier Ferienhäuser an.“ Nicole war erst einmal irritiert und mit mehr als einem „ooookaaay“ konnte sie erst einmal nicht antworten.

Foto oben rechts: die Schwedische Fahne

„Wir fuhren also los und schauten uns die Häuser an. Das erste Objekt lag zu einsam im Wald, aber das dritte Haus war perfekt für uns. Und somit waren wir nach Erledigung der Formalitäten zwei Wochen später stolze Besitzer eines schwedischen Häuschens.“ Noch dachte Nicole, sie hätten sich lediglich ein Ferienhaus gekauft. „Doch Andreas meinte plötzlich: ‚Lass uns doch einfach ganz hierbleiben, das Leben kann so schnell vorbei sein.‘“ Wer kann das besser beurteilen als er, der nach einem schweren Arbeitsunfall im Ruhestand ist? Diese Aussage war selbst für seine Lebensgefährtin erst einmal zu spontan. „Aber warum nicht“, dachte ich mir, „Andreas ist abgesichert und ich finde überall einen Job.“
So verließen sie ihr Haus in Büsum und zogen in eine 4.000-Einwohner-Kommune in Värmland, dem Sylt Schwedens, 60 Kilometer entfernt von Karlstadt. „Hier wohnen viele Holländer und Deutsche, mit denen wir uns gerne unterhalten, aber wir wollten Schwedisch lernen. Dazu besuche ich kostenlose Kurse, um im Herbst die D-Lizenz zu erwerben, mit der ich später auch eingestellt werden kann.“

Foto oben rechts: Der Elch ist Schwedens Nationaltier

Inwiefern Schweden anders ist, beschreibt mir die gebürtige Dorstenerin folgendermaßen:

ID-Karte
„Ohne diese Karte läuft hier nichts. Damit gehst du zum Arzt, zur Bank, bezahlst deine Einkäufe, selbst mein Hund ist über meine ID angemeldet. Die ePA, die jetzt in Deutschland eingeführt wird, haben wir quasi schon ewig. Persönliche ‚Geheimnisse‘ sind hier nahezu unbekannt.“ Den Beweis lieferte der erste Besuch ihrer Nachbarn. Nicole erhielt Blumen, Andreas einen Zeitungsausschnitt mit allen Details zu ihrem Leben, vom Geburtsdatum bis hin zum Kaufpreis ihres Hauses. Wer jetzt denkt, dass ihm oder ihr das zu gläsern wäre, der wird jetzt erstaunt sein. „Auf einer öffentlich frei zugänglichen Webseite gibst du Namen, Adresse oder das Geburtsdatum einer Person ein und schon erhältst du ihre sämtlichen Daten, beispielsweise ihr Alter, die Anzahl ihrer Autos, ihre Arbeitsstelle oder die Höhe ihres Vermögens“, erklärt mir Nicole und fährt lachend fort: „So kannst du einen Single vorher gut durchchecken, ob er eine gute Partie ist.“

Stress
„Stress kennen Schweden nicht. Ich musste erst lernen, mich herunterzufahren und alles ruhiger angehen zu lassen. Während du in Deutschland eher fünf Minuten zu früh zur Arbeit kommst, so triffst du hier in der Regel erst fünf Minuten später ein. Aber bevor du mit deiner Arbeit anfängst, trinkst du erst einmal einen Kaffee.“ Kaffeepausen, die „fikas“, sind hier heilig und werden auch strikt eingehalten. „Dann geht nichts mehr“, erzählt mir die 47-Jährige. „Ich wollte mein Auto aus der Werkstatt holen, hatte bereits bezahlt und der Mann dort musste mir nur noch meinen Autoschlüssel geben. Aber dann war „fikar“ und so saßen wir beide auf der Bank vor der Werkstatt und warteten beim Kaffee auf das Ende der Mittagspause. Dann erst gab er mir den Schlüssel und ich fuhr nach Hause.“

Foto oben rechts: Viele Schrottplätze werden zu Lost Places

Die Sprache
„Die Grammatik ist ziemlich knifflig. Wir haben hier viele Artikel und eine falsche Betonung eines Wortes bedeutet gleich einen anderen Sinn. Aber Verwandtschaftsgrade sind dafür hier direkt erkennbar. So ist die Mama die mor, ihre Mutter ist die mormor, die Mutter des Vaters dagegen ist die farmor. Die Schwester der Mutter wird als moster bezeichnet, die des Vaters als faster. Und wir reden uns nur mit Vornamen an und duzen uns. Das macht vieles einfacher.“

Alkohol und die Jugend
„In der Öffentlichkeit ist es verboten, Alkohol zu trinken, daher siehst du keine Betrunkenen auf der Straße. Als alternative Freizeitbeschäftigung und um soziale Kontakte zu pflegen, ist es daher Jugendlichen ab 15 Jahren erlaubt, die A-Traktoren zu fahren. Diese Autos sind dann aber mehr rollende Diskokugeln, so geschmückt sind sie“, lacht Nicole.

Das Gesundheitssystem
„Lange auf einen Arzttermin warten wir nicht. Wir rufen eine bestimmte Telefonnummer an oder nutzen die App und schildern unsere Beschwerden. Die Krankenschwestern, die hier eine andere Ausbildung erhalten, als in Deutschland, entscheiden dann, ob du ins Krankenhaus musst, mit einem Arzt verbunden wirst oder ob sie dir Medikamente aufschreiben. Als ich wegen Kniebeschwerden angerufen habe, landete ich plötzlich in einem Videocall und wurde aufgefordert, meine Knie zu zeigen. Für die Schweden ist diese Vorgehensweise normal, ich war erst einmal irritiert.“ Jetzt kann Nicole darüber lachen und erwähnt noch einmal: „Du siehst, Schweden ist anders, nicht besser, nicht schlechter, einfach anders.“

Foto oben rechts: An diesen kleinen Tankstellen befüllen Schweden ihre Autos

Text: Martina Jansen
Fotos: privat

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