Dorsten entdecken

von Martina Jansen (Kommentare: 0)

Mittendrin in Dorstens Stadtgeschichte

„Mein Mann Hannes liegt betrunken im Turm und schläft seinen Rausch aus.“ Mit diesen Worten begrüßt Petra Eißing alias Lisbeth ihre Gäste und bricht damit sofort das Eis zwischen ihnen. Die Gästeführerin sieht anschließend regelmäßig in ratlose und verdutzte Gesichter, bis sie erklärt, warum sie ausnahmsweise als Frau in der Mitte des letzten Jahrtausends als Nachtwächterin unterwegs ist.   

Auf ihren Führungen hat sie stets interessierte Zuhörer „und so ist ein Rundgang nie wie der andere“, erzählt mir Petra Eißing. „Ich bin stets bemüht, dieselben Wege zu nutzen, das gibt mir Sicherheit, wenn das Wetter einmal nicht mitspielt oder ich plötzlich vor einer Baustelle stehen sollte.“ Ihre Gäste können sich dabei auf interessante, historische und auch schon mal gruselige Geschichten aus dem mittelalterlichen Dorsten freuen.
„Mir wird auf diesen Stadtführungen nie langweilig, denn auch ich lerne immer wieder Neues aufgrund der mir gestellten Fragen oder durch die Gespräche der Teilnehmer untereinander“, fährt sie fort und erwähnt, dass sie die Erzählungen der Zeitzeugen ganz besonders berühren. „Es ist für mich eine ganz besondere Situation, wenn meine Gäste auf der Führung jeweils am 22. März anlässlich der Bombardierung der Stadt ihre Eltern auf alten Fotos beim Steinepicken erkennen und sich an ihre eigene Jugend erinnern und erzählen, wo sie damals gewohnt haben.“

Aufmerksam auf ihre jetzige Tätigkeit wurde Petra Eißing, als die WINDOR im Jahre 2003 Seminare zur Gästeführerin anbot. „Meine beiden Söhne waren damals schon älter und ich habe mich angesprochen gefühlt. Ich konnte mir gut vorstellen, neben Kindern und Küche auch etwas anderes zu machen“, erzählt mir die freundliche Fremdsprachenkorrespondentin. Gedacht, getan und so bekam die heutige 59-Jährige an mehreren Wochenenden das nötige Rüstzeug mit, um zu wissen, wie sie Gruppen zu behandeln hat, wie laut sie reden muss, um auch noch beim letzten Teilnehmer hinten verstanden zu werden und wie weit ihre Erste Hilfe gehen darf.

Die Geschichte Dorstens vermittelten sich die Seminarteilnehmer selbst anhand einer dicken Mappe, die sie an die Hand bekamen. „Ich habe mich schon immer für die Stadtgeschichte interessiert, aber diese alten Geschichten haben plötzlich einen aktuellen Bezug. Ob Pest und Corona oder der Zweite Weltkrieg mit den Opfern auf Tisa von der Schulenburgs Reliefs am alten Wehrturm an der ehemaligen Stadtmauer und die heutigen Geflüchteten aus der Ukraine, Geschichte wird plötzlich lebendig.“
Sehr viele Informationen über die Dorstener Geschichte bekam die Stadtführerin von den Mitgliedern des Vereins für Orts- und Heimatkunde, aber auch von Martin Köcher, dem Leiter des Stadtarchivs. Für diese freundliche Unterstützung möchte sie sich auf diesem Wege noch einmal herzlich bedanken.

Foto oben rechts: Petra Eißing im Kostüm der Nachtwächterin

Die Hanse- sowie die Nachtwächtertouren führt Petra Eißing in Kostümen durch. „Damit schlüpfe ich direkt in die Rolle der Hansefrau oder in die der Nachtwächterin. Im Winter trage ich zwar Männerkleidung, da es mir sonst zu kalt wäre, aber in diesem Fall bleibe ich dennoch weiterhin eine Frau“, schmunzelt sie und gibt darüber hinaus zu, dass sie sich schon an die Geschichte Dorstens hält, aber des Öfteren auch durch die verschiedenen Jahrhunderte springt.

Ein Anlaufpunkt ist für Petra Eißing bei jeder Gästeführung das Jüdische Museum. „Dieses Museum ist außergewöhnlich für unsere kleine Stadt und wir sollten das zu schätzen wissen. Ich stoppe aber auch gerne am alten Xantener Speicher in der Vehme. Es gefällt mir jedes Mal zu sehen, mit welcher Liebe die Besitzer das Haus pflegen. Es ist eines der letzten noch existierenden Beweise, meinen Teilnehmern zu zeigen, wie alt unsere Stadt ist.“ Für Petra Eißing ist das „Alte Rathaus“ jedoch ihr persönliches „Dorsten-Haus“. „Ich mag den Trubel dort an den Markttagen und das quirlige Leben in der Innenstadt.“
Zusätzlich zu den Stadtführungen bietet die Gästeführerin nun auch Radtouren zur Lohnhalle und dem Tisa-Archiv an und freut sich somit zwei weitere Anlaufpunkte zu haben.
Natürlich geht es bei den Stadtrundgängen nicht bierernst zu und die Holsterhausenerin erinnert sich an verschiedene Situationen, die sie immer noch zum Schmunzeln bringen. Dazu gehört natürlich auch, dass Petra Eißing erwähnt, dass die kleine Hansestadt Dorsten früher der großen Hanse Dortmund zugeordnet war. „Das hören die Schalker Fans nicht so gerne“, weiß sie. Kurz darauf erinnert sie sich an die scherzhafte Bemerkung eines Gastes, als sie an einem betrunkenen Mann auf einer Parkbank vorbeikamen: „Da hat es dein Mann ja dieses Mal wohl nicht bis in den Turm geschafft.“ Aber auch an eine erstaunte Frage eines Kindes kann sie sich immer noch gut erinnern. „Während die Frage seinen Eltern sehr peinlich war, musste ich lange und herzlich lachen, als mich ein kleiner Junge ernsthaft fragte, ob ich wirklich schon mehrere Jahrhunderte alt wäre.“
Fast 20 Jahre bemüht sich die beliebte Gästeführerin nun schon um ihre Gäste. „Ich freue mich aber immer wieder auf die nächste Gruppe, denn es ist spannend, nicht zu wissen, was mich erwartet.

Foto oben rechts: Petra Eißing lädt im Nachwächterkostüm oder in der Hansetracht, wie rechts auf dem Foto, zu den beliebten Stadtführungen ein

Text: Martina Jansen
Fotos: Jürgen Moers

In diesem Jahr finden noch vier Hansetouren (15. April, 20. Mai, 17. Juni und 19. August) mit anschließendem Umtrunk statt. Die Stadtführungen auch zu bestimmten Themen wie Frauenrechte (6. Mai), jüdisches Leben in Dorsten (27. Mai und 30. September), bedeutende Dorstener Persönlichkeiten (29. April. und 23. September), Kindertour (28. Juli) oder auch Radtouren an verschiedenen Terminen können auch für private Führungen im Freundes- oder Familienkreis in der Stadtagentur unter 02362 663066 oder per Mail stadtinfo@dorsten.de gebucht werden.

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